Die Bremer Gluckhenne

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Die Bremer GluckhenneDer Himmel war trübe und bewölkt und schaute drohend herunter auf ein Häuflein armer heimatloser Menschen, Männer, Weiber und Kinder, die mit ihren Kähnen mitten im Strom fischten.

Sie hatten sich den Überfällen ihrer mächtigen Nachbarn entzogen; ihr ärmlicher Besitz freilich war nicht geeignet, die Raublust derselben zu reizen. Denn sie hatten nichts als ein paar Bretterhütten und ihre Kähne und Netze. Die hätten sie gern hingegeben, wenn sich der Feind damit hätte abfinden lassen, konnten sie doch diesen Verlust in wenigen Tagen ersetzen.
Aber sie hatten noch ein anderes Gut, das der Feind anzutasten drohte, das war die Freiheit. Die hielten sie höher als Gold und wollten sie sich bewahren, um jeden Preis, selbst mit Aufopferung der geliebten väterlichen Wohnsitze.
So lagen sie denn im Flusse und spähten umher, ob nicht irgend ein günstiges Vorzeichen zu entdecken sei. Denn der Ort war so heimlich und der Fluß so fischreich, daß sie sich gern an diesem Ufer niedergelassen hätten. Aber es ward Abend, und sie waren sehr traurig, daß die Geister des Landes ihnen kein Zeichen gesandt und zu sich eingeladen; sie jammerten und wehklagten und waren trostlos, daß sie nun weiter ziehen mussten aus dieser schönen Gegend.
Jetzt drang plötzlich ein Strahl der sinkenden Sonne durch das Gewölk und erhellte die ganze Landschaft mit einem wundersamen Glanz. Da bemerkten sie eine Henne, die sich und ihren Küchlein einen sichern Ruheplatz suchte für die Nacht, und jubelnd sprang alles Volk aus den Schiffen, um der Henne zu folgen, die mit ihrer kleinen Schar einen Hügel hinanging und sich mit ihrer Brut im hohen Heidekraut verbarg.
Sie beschlossen nun, dies Ereignis, worin sie ein Bild und Spiegel ihrer eignen Lage erblickten, anzusehen als ein günstiges Zeichen und an der Stelle, wo die Henne ein schützendes Obdach gefunden, ihre Hütten wieder aufzuschlagen. Dieser Hügel sollte fortan der Hort der Freiheit sein.
So wurde in uralter Zeit der Grund gelegt zu der Stadt Bremen, und da die neuen Ansiedler sich hauptsächlich vom Fischfange nährten, so mag man mit vollem Rechte sagen, dass das Fischeramt das älteste sei in der Stadt. Die Henne aber mit ihren Kleinen sieht man deutlich ausgehauen über dem zweiten Rathausbogen und gilt noch heutiges Tags weit und breit für ein Wahrzeichen der Stadt Bremen.

Die Bremer Gluckhenne am zweiten Rathausbogen

Aus: Friedrich Wagenfeld, Bremen's Volkssagen, Bremen 1845

Wichtiges in Kürze
Eintritt: frei
Öffnungszeiten: 24 Stunden zugänglich
Anschrift: Am Markt 21
Anreise: Mit Bus oder Straßenbahn
bis Haltestelle »Domsheide / City Center«


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Über Friedrich Wagenfeld

Am 26. August 1846 starb in Bremen, wo er geboren war, Friedrich Wagenfeld, einer der begabtesten und zugleich einer der unglücklichsten Söhne unserer Stadt. Er hatte von 1829 bis 1832 in Göttingen studiert und war 1837 durch eine geniale Geschichtsfälschung, mit der er selbst bedeutende Fachgelehrte narren konnte, in ganz Europa bekannt geworden. 1825 gab er eine Sammlung »Bremer Volkssagen« heraus, die noch einmal sein poetisches Talent und seine Darstellungskraft bezeugten, denn viele waren ganz oder teilweise seine eigene Erfindung.



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